Melanie Heckner

melanie heckner
geb.: *1882 in Hermannstadt/Siebenbürgen
gest.: 1972 in Aschersleben

Der außergewöhnlichen und multitalentierten Frau aus fernen Landen ist dieser Kommentar gewidmet. Nach ihrem berühmten Ehemann Dr. Hans Heckner ist sogar eine Straße in Aschersleben benannt worden, doch Melanie Heckner macht sich zu Unrecht sehr rar in unserer Erinnerung und man muss einige Geduld aufbringen, um ihre Spuren in Aschersleben zu entdecken.

Melania wurde mit ungarischer Staatsbürgerschaft am 25. Juli 1882 in Hermannstadt (heute rumänisch Sibiu) geboren. Ihr Mädchenname war Melania Carmen Pongrác de Szent Miklós és Ovári. Ihr ungarischer Adelstitel kann als „von Sankt Nikolaus und der Altenburg“ übersetzt werden, während der Familienname Pongrác war. Warum sie ihren wohlklingenden Vornamen Melania in Melanie modifizierte, bleibt ihr Geheimnis.

Aus ihrer Taufurkunde, die mit dem 5.2.1908 zum Zwecke der bevorstehenden Hochzeit mit Hans Heckner datiert ist, gehen überraschende Details hervor, die nicht unbedingt von einer sorglosen Kindheit zeugen. Unter der Rubrik „Eltern“ ist nur Bertha Aemilia Pongrác de Szent Miklós et Óvár, geborene Rosenthal benannt. Die deutschsprachige Mutter wurde am 06. September 1845 in Fogaras (Siebenbürgen) geboren. Sie war evangelischer Konfession. Bedeutend für die Tochter Melania dürfte in ihrer Kindheit der Status „illegal“ gewesen sein, was nach heutigem Verständnis „unehelich“ bedeutet. Warum sie den Namen des verstorbenen Ehemannes der Mutter angenommen hat und wer ihr leiblicher Vater war, konnte bisher nicht beantwortet werden.

Trotz der diffizilen Familienverhältnisse muss sie eine überdurchschnittlich gute Bildung und Erziehung genossen haben. Von der intensiven Förderung ihrer vielseitigen Begabungen konnte sie ein Leben lang profitieren. Erhaltene Zeichnungen, die sie als 16jährige angefertigt hat, zeugen von einem Talent, das sie später ins Berufsleben einbrachte. Dass sie als Pianistin und Schriftstellerin auch anderen Passionen nachging, zeugt von ihrem breit gefächerten Interessenkreis. Ihr wurde von Zeitzeugen bescheinigt, dass sie als Innenarchitektin ihrem Mann bei seiner Tätigkeit als Baurat eine wichtige Hilfe war. Allerdings gibt es bisher keinen Beleg, dass sie eine abgeschlossene berufliche Qualifikation besaß. Es ist nur mündlich überliefert, dass sie eine Ausbildung als Kunsterzieherin genossen haben soll.

Im romantisch-multikulturellen Hermannstadt ging sie zur Schule und muss dort auch ihren späteren Ehemann Hans Heckner kennen gelernt haben. Dieser wurde 1878 im bayrischen Vötting geboren und hatte 1903 im 30 km entfernten München erfolgreich ein Architekturstudium abgeschlossen. Im Auftrage seines berühmten Hochschulprofessors und Architekten Carl Hocheder (1854 – 1917) war er bereits ab 1903 als Bauleiter für die Errichtung der Sparkasse in Hermannstadt verantwortlich. Außerdem war der junge Architekt noch bis 1906 in weiteren Bauprojekten in Siebenbürgen involviert.

Melanie traf die notwendigen Vorbereitungen, um ins Deutsche Kaiserreich überzusiedeln. Davon zeugt die Ausstellung des Heimatscheines vom 18. Januar 1908. Es wurde in diesem Dokument durch die Königlich Freie Stadt Nagyszeben (ungarisch für Hermannstadt) beurkundet, dass die ledige Melanie das Heimatrecht ihrer Gemeinde besitzt. Damit stand einem Umzug nach Aschersleben nichts mehr im Wege.

Aus Siebenbürgen folgte Melanie ihrem Hans in die 1500 km entfernte preußische Provinz Sachsen und das nicht ohne Aufsehen in Aschersleben. Zeitzeugen berichten, dass wegen des exotischen Paares die ganze Stadt Kopf gestanden haben soll. Der bayrische „Kleiderschrank“, wie Heckner wegen seiner stattlichen Größe bezeichnet wurde, hatte die sehr zierliche schwarzhaarige Ungarin geheiratet, ein Paar wie Vater und Tochter.

Als sich das Können ihres Ehemannes in Deutschland immer mehr herumgesprochen hatte, bekam er lukrative Angebote aus verschiedenen Großstädten mit wesentlich mehr Gehalt. Doch Heckner war von seiner Aufgabe so leidenschaftlich eingenommen, dass er in Aschersleben blieb, um die Stadt weiter zu gestalten. Vielleicht fühlte sich Melanie Heckner auch wohler in der Stadt am Harz als in den lockenenden Metropolen wie Berlin, Essen oder Düsseldorf. Das Architekturbüro verlegte Familie Heckner Anfang der 1920er Jahre in das Gebäude „Über den Steinen 8“, das sich im städtischen Besitz befand. Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Ende der Inflationszeit 1923 setzte wieder eine verstärkte Bautätigkeit ein. Dr.-Ing. Heckner hielt an seiner traditionellen Baukunst aus der Vorkriegszeit im Wesentlichen fest, obwohl neue Strömungen in der deutschen Architektur auf Veränderungen drängten. Trotz aller fachlichen Kompetenzen mehrten sich seit 1928 die Anfeindungen ihm gegenüber. Insbesondere die konkurrierenden Architekten taten alles, um das Privileg des privaten Architektenbüros zu unterbinden. Auch gerichtlich wurde gegen den Baurat vorgegangen.

1936 kaufte das Ehepaare Heckner das Haus Heinrichstraße 39 in Aschersleben, um dorthin Wohnsitz und später auch das eigene Architektenbüro zu verlegen. Das Haus wurde vom jüdischen Kaufhausunternehmer Arthur Grünbaum erworben, der zusammen mit Adolf Conitzer das Kaufhaus „Conitzer & Co“ in der Breiten Straße 12 (heute Roßmann) betrieb. Hans Heckner hatte 1929 der Fassade des Kaufhauses mit einer monumentalisierenden Lisenengliederung (Lisene = Rand) ein einheitliches und modernes Gesicht gegeben. Die Umstände des Verkaufs dürften mit der fortschreitenden Judenverfolgung im Zusammenhang gestanden haben, denn Grünbaum versuchte sich den antisemitischen Anfeindungen in der Kleinstadt durch Umzug nach Berlin zu entziehen.

Der Zusammenbruch des NS-Regimes und das Ende des Krieges erlebten Melanie und Hans Heckner in Aschersleben. Trotz des angeschlagenen Gesundheitszustandes von Hans Heckner lieferten sie weiterhin Entwürfe für Umbau- sowie Wiederaufbaumaßnahmen und begleiteten die Baustellen. Die Zeit der großen Bauprojekte war jedoch für den Baurat a.D. Dr. Heckner vorbei. Über Jahrzehnte hatte er als Architekt und Städteplaner unsere Heimatstadt geprägt und hinterließ eine Vielzahl von Bauwerken im unverwechselbaren neobarocken Heimatstil mit Elementen des puristischen Historismus.

Es sind Zeichnungskopien von Melanie Pongrác in den Archiven des Museums Aschersleben zu finden, die sie als 16jährige Schülerin in Herrmannstadt fertigte. Auffällig ist, dass ihr bereits in diesem Alter eine hohe Kunstfertigkeit bescheinigt werden kann. Ob dieses Talent durch eine entsprechende Ausbildung gefördert wurde, ist bisher nicht nachweisbar. Doch ihren Sinn für Form und Farbe bringt sie bei der Unterstützung ihres Ehepartners immer wieder ein.

Der Kunsthistoriker Mathis Nietzsche hat sich wissenschaftlich mit dem Architekten Heckner auseinandergesetzt. Am Beispiel eines der wichtigsten öffentlichen Bauprojekte Heckners von 1929 weist er darauf hin, dass das Innere des heutigen Senioren-Wohnparkes Aschersleben GmbH auf der Burg, mit einer soliden, volkstümlichen Ausstattung versehen war. Melanie Heckner hat dabei die Innenausstattung zusammen mit ihrem Mann und dem Maler Degenkolbe entworfen.

Melanie Heckner war nicht nur sehr belesen und eine Liebhaberin der Literatur. Sie fand auch Zeit, um neben ihrer Tätigkeit im Architekturbüro, Romane zu schreiben. Da sie sich dabei intensiv mit den geschichtlichen Hintergründen ihrer Romanfiguren auseinandersetzte, muss sie viel Mühe damit aufgebracht haben, um die europäische Historie genau zu studieren. Erst wandte sie sich einem lokalen und später dem gesamten deutschsprachigen Publikum zu. 1935 erschien eine Fortsetzungserzählung im „Ascherslebener Anzeiger“ mit dem Titel „Um deutsche Art – Eine Begebenheit aus Siebenbürgen“.

Hans Heckner starb plötzlich am 4. Januar 1949 und ließ seine Frau mit einem großen Haus, einem Architekturbüro und in einer Zeit zurück, die nicht leicht zu meistern war. Ihr wurden Kriegsflüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten ins Haus einquartiert. Ihr selbst blieb nur ein Zimmer mit Küche. Als Vermieterin wird sie es schwer gehabt haben, denn in der DDR-Zeit war das mehr eine Strafe als eine Einnahmequelle. Die Mieten waren niedrig und deckten kaum die Ausgaben des Vermieters. Notwendige Reparaturen und Ausbesserungsarbeiten waren wegen des Handwerker- und Materialmangels eine nervenaufreibende und meist erfolglose Angelegenheit. Dennoch hielt sie durch in ihrem Haus und die Mieter waren ihr dafür dankbar.

Anlässlich des 90. Geburtstages von Melanie am 25. Juli 1972 rückte sie ein letztes Mal in den Fokus der Offiziellen der Stadt Aschersleben. Man überreichte ihr einen Blumenstrauß und 100 Mark der DDR. Blumen gab es auch von ihren Mietern. An ihre Verwandtschaft in München schrieb sie in ihrem vielleicht letzten Brief am 31. Juli 1972, wo sie sich für ein Päckchen bedankte: „Du kannst kaum ermessen, welche Freude Du mir mit Deiner Sendung bereitet hast. So alte Leute wie ich sind doppelt dankbar, wenn sie nicht vergessen werden, denn wer weiß, wie lange das Lämpchen noch glüht.“

Wenn uns Hans und Melanie Heckner leider keine Nachfahren beschert haben, so sei mit einem Zitat von Hans Heckner dieser Aufsatz beendet. Die Worte sollen nicht nur ihm, sondern auch seiner Ehefrau Melanie gewidmet sein. Das Zitat bezieht sich auf die nicht gehaltene Rede von 1935 und ist auf den Baumeister des Rathausbaus Lüdecken Büring von 1517 bezogen:

Dein Tod bedeutet kein völliges Erlöschen; ich möchte ihn als eine Hemmung deiner Tätigkeit ansprechen, denn du hast Schule gemacht und lebtest sie in deinen Kindern, die dir deine Bauten waren, fort.“

Melanie Heckner starb hochbetagt am 28.September 1972 in Aschersleben. Sie war 90 Jahre alt geworden und hatte ihren Ehemann um 23 Jahre überlebt. Die Begräbnisstätte der Familie Heckner ist ein von Hans Heckner entworfenes Doppelkreuz, das noch heute auf dem Friedhof in der Schmidtmannstraße von Aschersleben besucht werden kann.

Kurt Großkreutz Nov. 2023


...Rapid Gallery Loading...