Friedrich Medenwald

Friedrich Medenwald
Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche
geb.: 3. August 1898 in Emden (Ostfriesland)
gest.: 27. Mai 1937 in Halberstadt

Pfarrer Friedrich Medenwald wirkte von 1929 bis 1937 an der Reformierten Gemeinde in Aschersleben. Er wurde am 3. August 1898 im ostfriesischen Emden als Sohn des Pfarrers Franz Medenwald, Pfarrer der reformierten Gemeinde in Emden, geboren. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums in Stettin und dem Abschluss mit „Auszeichnung“ ging er nach Greifswald, um Theologie zu studieren.

Nach einem Jahr wurde er im September 1917 zum Militär eingezogen und diente bis zum Ende des Ersten Weltkrieges als Krankenwärter im Feldlazarett 18. Nach dem Krieg studierte er in Berlin Theologie und Kunstgeschichte, wo er auch seine theologischen Prüfungen ablegte. Nach Beendigung des Studiums bekam er seine Ordination und ging als Vikar nach Prenzlau an die St. Marienkirche. Mit 24 Jahren wurde Friedrich Medenwald Pfarrer in Jagow in der Uckermark, wo er bis zum 15. Oktober 1929 wirkte. Durch eine Anzeige erfuhr er, dass in Aschersleben die reformierte Pfarrerstelle ausgeschrieben war. Sein Wunsch, an der reformierten Gemeinde zu arbeiten, ging in Erfüllung und im Oktober 1929 kam Friedrich Medenwald als Nachfolger von Pastor Krause an die Reformierte Kirche in Aschersleben.

Zwei Wochen nach Pastor Krauses Abschiedspredigt wurde er zum Erntedankfest 1929 am Sonntag, den 20. Oktober 1929 „vormittag ½ 10 Uhr“ durch Superintendent Schwahn in sein Pfarramt in Aschersleben eingeführt. Sein Vorgänger, Pastor Krause, hatte ihn in seiner Begrüßungsansprache willkommen geheißen, danach hielt er in seiner neuen Gemeinde den ersten Gottesdienst.

Die Familie zog in das Pfarrhaus direkt am Markt

Die Familie Medenwald hatte das Pfarrhaus Markt Nr. 26 bezogen, direkt gegenüber der reformierten Kirche. Mit seiner Ehefrau Else (geb. Courfois) hatte Friedrich Medenwald zwei Söhne und eine Tochter. Bis zu seiner schweren Erkrankung 1937 führte er die Reformierte Gemeinde in Aschersleben. Am 27. Mai 1937 verstarb er während einer Darmoperation in Halberstadt.

Die bewegende Trauerfeier fand am 31. Mai 1937, nachmittags 2 Uhr in der Reformierten Kirche am Markt zu Aschersleben im Beisein sämtlicher Geistlicher des Kirchenkreises statt. Die Gedächtnisrede in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche hielt Pastor Krueger von St. Johannis. Für den Kirchenkreis sprach Superintendent Schwahn Worte des Dankes an den Verstorbenen, Superintendent Dr. Lange aus Halle sprach für die reformierten Gemeinden der Provinz, die aus Halle, Magdeburg, Burg und Halberstadt ihre Pfarrer entsandt hatten. Aus der Gemeinde Jagow in der Uckermark, in der Friedrich Medenwald sieben Jahre im Dienst stand, waren der Kirchenpatron von Holtzendorff und der Pfarrer gekommen. Dort waren am Tag zuvor die Glocken zu Ehren des verstorbenen Pfarrers geläutet worden.

Nach Beendigung der ergreifenden Trauerfeier mit Gebet, Aussegnung und Gemeindegesang wurde der Sarg aus der Kirche getragen, wo Pfarrer Friedrich Medenwald acht Jahre lang im Dienste seines Gottes und seiner Kirche tätig war.

Eine halbe Stunde später setzte sich auf dem städtischen Friedhof unter dem Läuten aller Glocken der evangelischen Stadtgemeinden ein langer Zug zur letzten Ruhestätte in Bewegung. Ein Trauerzug hinter dem Sarg von der Kirche am Markt durch die Stadt zum Friedhof war durch die NS-Behörden der Stadt verhindert worden.

 

Meine Erinnerungen an die Zeit im reformierten Pfarrhaus in Aschersleben

Mein Vater Friedrich Medenwald bewarb sich in den Jahren 1928 - 29 um die Pfarrstelle als Nachfolger von Pfarrer Krause. Nach seiner Probepredigt wählte ihn die Gemeinde. So siedelte unsere Familie aus dem 400jährigen Pfarrhaus in der Uckermark nach Aschersleben über. Ich war damals 5 Jahre alt, mein Bruder Friedrich 3 ½ Jahre. Bald wurde dann mein jüngster Bruder, Hans-Joachim, 1930 im Pfarrhaus geboren. Wenig später taufte mein Großvater mit wohl zu reichlich Wasser seinen Enkel. Empört begann dieser zu schreien. Er übertönte den gesamten Kirchenchor, der die Tauffeierlichkeit verschönen wollte.

Ich kann mich noch gut an die Räumlichkeiten im Pfarrhaus erinnern: Im Erdgeschoß, links neben dem offiziellen Eingang, gelangte man durch das Gemeindebüro, in dem unser Kantor, Herr Kohlmann, saß, in das große Arbeitszimmer meines Vaters. Im Vorzimmer herrschte meist reges Leben, da zur Zeit des Dritten Reiches man Einblick in die Kirchenbücher nahm. Die meisten Staatsbürger mussten ja ihren arischen Nachweis, dass sie keine jüdischen Vorfahren hatten, erbringen. Auch wurden dort, in der Weimarer Zeit, an Bedürftige Essens- und Kohlemarken ausgegeben. Im großen Arbeitszimmer arbeitete mein Vater auch die Predigten aus. Nur zur Weihnachtszeit, wenn Weihnachtsmarkt war, floh mein Vater in die Sakristei der Kirche. Das anhaltende Geschrei der Marktverkäufer, speziell des Spitzenmaxes, störte ihn. Musste er doch in den Wochen vor Weihnachten 5 Predigten erarbeiten: 4. Adventsgottesdienst, Kindergottesdienst am Nachmittag, Heilig-Abendpredigt, zum 1. und 2. Weihnachtstag.

Im großen Zimmer am langen Tisch trafen sich einmal wöchentlich die Kindergottesdienst-Helfer. Einmal in der Woche fand dort auch die Bibelstunde statt. Hierzu wurden die beiden Amtsräume durch Öffnung der großen Tür verbunden. Aus dem Keller schleppte unsere Familie mit unseren Mädchen und dem Küster ungefähr 40 Stühle herauf. Die Bibelstunde war immer gut besucht, besonders in der Nazizeit. Auch, dass mein Vater und meine Mutter einen Jung-Mädchenkreis gestalteten, ist mir in Erinnerung. Wenn wir Kinder im Bett im Obergeschoß lagen, ertönte lautes Klavierspiel und Singen nach oben. Eine besondere Ehre war für mich, wenn ich mit unserem Gemeindediener Weile Kirchengänge machen durfte. Er sprach stark den Aschersleber Dialekt, den, der ich mehr auf uckermärkisches Platt eingestellt war, recht schlecht verstand.

Unserm Küster Weile, seiner Ehefrau und Familie Kisinsky fiel auch das Amt der Kirchenreinigung zu. Er achtete sehr auf Sauberkeit und Ordnung. Blumen bei Hochzeiten durften nicht in der Kirche gestreut werden. Auch vom Lüften der Kirche nach dem Gottesdienst hielt er nicht viel. Am Sonntag, wenn er nach dem Gottesdienst zu Hause war, ging ich mit meinem Vater hinüber in die Kirche und er öffnete die Fenster. Sonntags während des Kirchganges brachten immer einige Mütter der Gemeinde ihre Kinder ins Pfarrhaus. Mir erwuchs dann die Aufgabe, zu meinen Brüdern auch auf die anderen Kinder aufzupassen. Unser jeweiliges Mädchen ging ja mit meiner Mutter mit in die Kirche. Der Abgang konnte sich schon mal 1 bis 2 Minuten verzögern durch die Kinderschar, die sie zurückließen. Unser Küster läutete so lange die Glocken, bis Mutti in der Kirche war. War der große Gottesdienst beendet, stürmten wir Kinder in den Kindergottesdienst, der äußerst gut besucht war. Am Ende des Gottesdienstes stieg mein Vater auf die Kanzel und zählte stolz all seine Lieben. Er kam oft über die Zahl 200, wobei bei uns Kindern die Fleißkärtchen eine große Rolle spielten. Auch eine große Frauenhilfe bestand damals. Ich besinne mich noch auf die Feste im „Reichsadler“, „Über den Steinen“. Meine Mutter und einige Frauen der Gemeinde übten zu diesen Anlässen Theaterstücke und Tänze ein. Der Jung-Mädchenkreis sang eingeübte Chöre.

Eine schwere Zeit begann

Der Kirchenbesuch, auch in der NS-Zeit, war immer sehr gut. Dies war ein Dorn im Auge der damaligen Machthaber. In den hinteren Reihen saß oft die geheime Staatspolizei und schrieb mit. Unser Küster raunte dies meinem Vater dann während des Gottesdienstes zu. Ich besinne mich, wie wir - als ich so 11 bis 12 Jahre alt war - oft am Mittagstisch auf unseren Vater warteten. Sie hatten Papa aus der Kirche ins Rathaus abgeholt.

Überhaupt wurde mein Heranwachsen im Pfarrhaus von den Regimen der Politik beeinträchtigt. Ich erinnere mich an die langen, unheimlichen Hungermärsche abends. Von fern kündigten sie sich durch Pauken-, dann durch Schalmeienklänge an. Dann hörte man: „Was habt Ihr?“ „Hunger – Hunger – Hunger“, antworteten alle. „Wir wollen Brot!“. Es war ein Heer von Arbeitslosen, alles Familienväter. Vom Wohnzimmer konnten wir auf den Markt blicken, vom Kinderzimmer in die Rathausgasse, in der endlose Reihen von arbeitslosen Männern schon früh ab 6 Uhr auf ihr Arbeitslosengeld warteten, anstanden. Es herrschte in unserer Stadt – im ganzen Land - eine unsägliche Armut. Im Pfarrhaus wurden vormittags Ess- und Kohlemarken ausgeben. Ich bekam einmal, als ich aus der Schule kam, tüchtig Prügel von einigen Mädchen unserer Schule, weil sie nicht genug Essensmarken bekommen hatten. Wir beobachteten auch, wie die verschiedensten Parteien, Zentrum – Stahlhelm – Nazis – Kommunisten – SPD usw., sich auf dem Markt versammelten. Reden (vom Tisch herunter) und Sprechchöre folgten. Es war eine unheimlich aufregende Zeit! Ich kann mich auch noch an den Abend 1933, der Machtübernahme durch die NSDAP, erinnern. Der Markt zwischen AM Palast – Kirche – Pfarrhaus – Rathaus war schwarz voll Menschen. Sie riefen: „Deutschland erwache …“ und die Gegner: „Nazi verrecke“. Es kam zu Handgreiflichkeiten. In der Rathausgasse, der Polizeiwache, formierte sich die Polizei. Nach dem Kommando: „Helm fest – Gummiknüppel raus!“ rückte die Polizei aus. Männer wurden durch die Mönchsgasse abgetrieben.

Viele Nazi-Aufzüge folgten dann. Später wurde unsere Stadt wieder Garnisonsstadt. Zur Begrüßung wurde unser Markt festlich mit Girlanden und Hakenkreuzfahnen geschmückt, trotz Weigerung meiner Eltern, auch das Pfarrhaus.

Die Nazis fassten immer mehr Fuß, auch die Wirtschaft nahm wieder Aufschwung, die Arbeitslosigkeit nahm ab. Die ersten Kirchenaustritte trafen im Pfarrhaus ein. Mein Vater besuchte jeden und fragte nach dem Grund. Überhaupt war mein Vater unermüdlich jeden Nachmittag unterwegs. Alleine von seinen etwa 180 Konfirmanden besuchte er die Familien. Oft konnten wir von unserem Wohnzimmerfenster 2 bis 3 Trauungen sonnabends beobachten. Auf dem Friedhof waren es oft auch mehrere Beerdigungen hintereinander. Mein Vater war äußerst rührig. Er hatte das Verlangen, all seine Gemeindemitglieder persönlich zu kennen. Er hielt auch in der Nazizeit abends Vorträge. Es waren kirchlich-aktuelle Themen: Ludendorf usw. Als vom Douglasstift, einem kircheneigenen Haus, von der Hitlerjugend das Kreuz heruntergeholt wurde, zeigte mein Vater die Täter an. Ich entsinne mich, wie eines nachmittags viele Autos vor unserer Tür parkten. Die NS-Führung verhandelte mit meinem Vater. Meine Mutter wurde eines sonntags angezeigt, da sie zu den Sammlern fürs „Winterhilfs-Werk“ gesagt hatte: „Nun finden Sie unsere Kirche.“ Man hatte daraus gemacht, sie hätte die Kirchgänger aufgefordert, nichts zu geben. Diese Angelegenheit ging bis zum Reichsgericht. Viel Aufregung für die ganze Familie!

Überhaupt geriet mein Vater mehr und mehr in Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime. Dies ging nicht spurlos an ihm vorbei. Magengeschwüre stellten sich ein und er musste mehrere Male nach Halberstadt in die Spezialklinik zu Dr. Mühling. Am 27.5.1937 kam er nicht mehr gesund, sondern tot heim. Er war bei einer Operation gestorben. Ob man dabei von einer bestimmten Seite, wie man vermutet, nachgeholfen hat, ist nicht zu beweisen. Mein Vater war sehr beliebt in seiner Gemeinde, daher ein Dorn für das NS-Regime. Viele Kränze und Menschen kamen ins Pfarrhaus. Für meine erst 37-jährige Mutter war dies eine schwere, traurige Last. Auch der katholische Pfarrer kam zu uns; er hatte mit meinem Vater ein gutes Einvernehmen gehabt.

Am Beerdigungstag wurde mein Vater in der Kirche aufgebahrt. Die Kirche war berstend voll. Alleine 30 bis 40 Pfarrer waren angereist, um meinem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Die Predigt stand unter dem Wort: „Es war ein brennend und scheinend Licht“. Ich habe es in meinem Leben nie verwunden, dass mein Vater so früh mit 39 Jahren von uns ging, aus einem vollen Schaffensleben herausgerissen wurde. Man sagte damals: Unser Herr Gott habe ihn zu liebgehabt, ihn zu sich genommen, ihn vor vielem Bösen bewahrt. Nach dem Gottesdienst sollte ein Trauermarschzug zum Friedhof stattfinden. Die Polizei schritt ein. Man erzählte, dass die Massen von Menschen wie eine Schafherde, ohne Hirten, zum Friedhof geflutet sei. Auch wir Familienmitglieder durften nicht hinter dem Leichenwagen herfahren.

Jeden Sonntag danach kam ein anderer reformierter Pfarrer aus der Umgebung: Halle – Halberstadt – Magdeburg, um in der verwaisten Gemeinde Gottesdienst zu halten. Nach dem Mittagessen bei meiner Mutter und Kindern, hatte ich 13-jährig, die für mich etwas schwierige Aufgabe, die hohen Herren zum Bahnhof zu bringen. Mein Respekt vor ihnen war grenzenlos. Nach zirka einem ¾ Jahr zog unsere Familie, nachdem das Presbyterium eine geeignete Wohnung für uns gefunden hatte, aus dem Pfarrhaus aus.

 

Text/Fotos: Frank Reisberg, Geschichtswerkstatt

Text "Meine Erinnerungen an die Zeit im reformierten Pfarrhaus in Aschersleben": Ingeborg Ackermann, geb. Medenwald, Düsseldorf, den 25.11.1996